Äpfel unter Strom | Good Impact (2024)

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Agri-Photovoltaik

Text

Ann-Kathrin Marr

Lesezeit

4 Minuten

Datum

12 August 2024

Themen

Erneuerbare EnergieKlima / KlimakriseLandwirtschaftUmweltschutz

Ein rheinischer Obstbauer will beides – Solarstrom und Äpfel ernten. Auf seinem Bio-Hof in Rheinland-Pfalz wachsen Gala & Co im Schutze eines Solardachs.

Zwischen Obstfeldern und Baumgruppen, nahe der Autobahn 61, liegt der Hof von Familie Nachtwey. Ein unberührtes Naturidyll ist die Gegend nicht, aber ein Ort für neue Ideen. Auf einem 3.600 Quadratmeter großen Feld im rheinischen Örtchen Gelsdorf wagen die Nachtweys ein besonderes Experiment: Sie bauen Elstar, Gala und andere Apfelsorten unter einem Dach aus Solarzellen an. Agri-Photovoltaik, kurz Agri-PV, nennt sich das.

Die Bäume pflegen, Äpfel ernten und auf derselben Fläche Solarstrom erzeugen: Kann das funktionieren? „Mit dieser Frage fing alles an“, sagt Bio-Landwirt Christian Nachtwey. Zusammen mit seinen Eltern zieht er im milden rheinischen Klima Äpfel und Birnen. Die Agri-PV-Anlage der Nachtweys steht seit vier Jahren und gehört zu den ersten in Deutschland. Sie ist Teil eines Forschungsprojekts, das vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) koordiniert wird.

Wer zwischen den Obstplantagen spazieren geht, entdeckt das Solardach sofort: Die Photovoltaik-Module sind auf einem Stahlgerüst in viereinhalb Metern Höhe befestigt, über einem von vielen Apfelfeldern. Darunter haben die Bäume ausreichend Platz zum Wachsen. „Bei der Agri-PV sollte der Obstbau immer an erster Stelle stehen und die Stromproduktion an zweiter“, sagt Christian Nachtwey. So regeln es auch die bundesweit geltenden Vorgaben für Agri-Photovoltaik. Durch die Anlage dürfen nicht mehr als 15 Prozent der Fläche verloren gehen und es müssen mindestens 66 Prozent der durchschnittlichen landwirtschaftlichen Erträge erwirtschaftet werden. Weil die Pflanzen optimale Bedingungen haben sollen, sind die Stromerträge etwas geringer als bei Anlagen auf freier Fläche.

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Christian Nachtwey (li.) mit seinem Vater Johannes vor der PV-Anlage des Familienhofs. Foto: Obsthof Nachtwey

Damit die Äpfel genug Sonnenlicht bekommen, verwenden die Nachtweys spezielle Photovoltaik-Module. Anders als bei den Solaranlagen auf Hausdächern sind die kleinen schwarzen Zellen vollständig von Glas ummantelt. So
dringt ein Teil der Sonnenstrahlung durch das Solardach. Weil die Module direkt über den Bäumen angebracht sind, mit einer breiten Lücke über der Fahrgasse, kann auch zwischen den Reihen Licht einfallen. Dort hat Christian Nachtwey Blühstreifen angelegt, um Insekten anzulocken.

Um wilden Mohn schwirren hier Hummeln und Wildbienen. Und auf den Querstreben unter dem Solardach sitzen an heißen Tagen Greifvögel im Schatten.

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„Bei der Agri-PV sollte der Obstbau an erster Stelle stehen und die Stromproduktion an zweiter“

Christian Nachtwey, Bio-Landwirt

Wie schnell die Äpfel rot werden, ob sie größer oder kleiner sind als üblich – das untersucht Jürgen Zimmer vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz. Insgesamt sind die Erträge um 20 bis 30 Prozent geringer als auf der Vergleichsfläche, sagt Zimmer. Das liegt an der etwas eingeschränkten Sonneneinstrahlung unter den Modulen. Noch steckt die Anlage aber in der Versuchsphase. Sie wird vom Fraunhofer ISE zu Forschungszwecken betrieben und muss keinen Gewinn erwirtschaften.

Wenn das Projekt im nächsten Jahr endet, wollen die Nachtweys die Anlage übernehmen und mit dem Stromverkauf bald Geld verdienen. Allerdings müssen die Kosten für die Anlage und die regelmäßige Wartung gegengerechnet werden. Zimmer ist aber optimistisch, dass Agri-Photovoltaik sich für Landwirt:innen langfristig lohnen kann – vor allem im Obstbau. Denn hier profitieren die Bäume sogar von dem Solardach. Es schützt die Früchte vor Hagel oder Regen.

Die im Obstbau üblichen Hagelnetze können so zumindest teilweise eingespart werden. Auch Feuchtigkeit wird im Obstbau schnell zum Problem. Werden die Blätter und Früchte nass, breiten sich Pilze aus, die eine Ernte vernichten können. Darum spritzen die Landwirt:innen Fungizide, pilzabtötende Mittel. Selbst im Bioanbau geht es nicht ohne; auch hier sind einige spezielle Präparate gegen Pilzinfektionen zugelassen. Die Nachtweys müssen sie unter dem Solardach allerdings kaum einsetzen, denn die Bäume bleiben weitgehend trocken. „Wir gehen davon aus, dass sich mit so einer Anlage im Obstbau rund 90 Prozent der Fungizide einsparen lassen“, sagt Zimmer. Wasser bekommen die Bäume trotzdem. Der Regen sammelt sich auf den Solarmodulen, tropft am Rand ab und dringt auf diese Weise sogar besonders tief in den Boden ein.

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Auch Äpfel können sich bei zu hoher Sonneneinstrahlung einen Sonnenbrand einfangen. Foto: Unsplash / Marek Studzinski

Mit der Klimakrise kommt noch ein weiteres Problem auf den Obstbau zu. Wenn die Temperaturen im Sommer auf über 30 Grad Celsius klettern, können sich auch Äpfel einen Sonnenbrand einfangen. „Vor 20 Jahren gab es das praktisch nicht. Inzwischen haben wir fast jährlich damit zu tun“, sagt Nachtwey. Nur unter der Solaranlage bleiben die Äpfel bisher unversehrt. Auch die Luft erhitzt sich dort langsamer und es bleibt kühler, was für ein angenehmes Mikroklima sorgt. „Der Obstbau ist für Agri-Photovoltaik geradezu prädestiniert“, sagt Zimmer mit Blick auf diese Vorteile. Sogar das Stahlgerüst lässt sich doppelt nutzen – als Stütze für die Solarmodule und für die Bäume. So geht kein Platz verloren.

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Auf Getreide- oder Gemüsefeldern sieht das anders aus. Hier sind die massiven Stahlpfeiler bei der Arbeit mit dem Traktor oder Mähdrescher schon mal im Weg. Damit große Maschinen genug Platz haben, müssen die Module auch über Äckern in ungefähr vier Metern Höhe angebracht werden. Weil Stahl teuer ist und in der Herstellung viel Energie benötigt, wird in einigen Projekten mit vertikalen Solarpaneelen experimentiert. Sie stehen wie Zäune zwischen den Reihen oder auf einer Wiese und beanspruchen weniger Platz. Allerdings könnten sie anfälliger für Steinschlag sein.

Ob hoch über Apfelbäumen oder mitten im Weizenfeld: In der Praxis steht die Agri-Photovoltaik noch ganz am Anfang. Vor 20 Jahren wurde in Deutschland die erste Anlage gebaut. Bis heute gibt es elf Forschungsanlagen, außerdem listet das Fraunhofer ISE knapp zehn weitere Projekte in konventioneller und Bio-Landwirtschaft. Etliche Anlagen hierzulande seien zudem in Planung und zum Teil schon realisiert. Andere Länder sind aber viel weiter, allen voran China. Am Rande der Wüste Gobi steht die weltweit größte Agri-PV-Anlage, die über Feldern mit Goji-Beeren Strom erzeugt. Die Energieernte ist fast 3.000-mal so hoch wie in dem kleinen Projekt in Gelsdorf.

„Mit so einer PV-Anlage lassen sich im Obstbau etwa 90 Prozent der Fungizide einsparen“

Jürgen Zimmer, Experte für Öko-Obstbau

Agri-Photovoltaik eignet sich besonders gut für Länder im Globalen Süden mit viel Platz und Sonne, wie das Fraunhofer ISE in einem Leitfaden hervorhebt. Aber auch in Deutschland gebe es ausreichend Potenzial, betont Andreas Steinhüser vom Fraunhofer ISE. „Die Technik an sich ist ausgereift“, so der Wissenschaftler. Sorgen bereiten ihm Lieferengpässe bei wichtigen Komponenten und die steigenden Stahlpreise. Auch der Weg bis zur Genehmigung sei oft zäh, obwohl bereits einige Hürden für kleine und mittlere Projekte abgebaut wurden.

Vorerst braucht auch Obstbauer Christian Nachtwey viel Geduld. Seine Anlage könnte theoretisch rund 50 Haushalte mit Strom versorgen, hat aber bisher noch keine einzige Kilowattstunde ins Netz eingespeist. Zuerst verzögerte das Ahr-Hochwasser den Netzanschluss. Und jetzt gibt es Lieferprobleme: Der Transformator, für die Einspeisung ins öffentliche Netz unverzichtbar, lässt auf sich warten. Trotzdem glaubt Nachtwey daran, dass er schon bald Energie liefern kann. Dann bekommen die Gelsdorfer:innen nicht nur Bio-Äpfel, sondern auch Ökostrom von nebenan.

Foto: Obsthof Nachtwey

Die Solardächer dienen neben der Stromerzeugung auch dem Schutz der Äpfel – vor starker Sonneneinstrahlung, Hagel und Regen.

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Dieser Artikel erschien in Ausgabe #10

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